Dokumente erzählen Stadtgeschichte

Projekte | Großbottwar - Anlässlich der vollkommenen Erneuerung des fast zweihundert Jahre alten Kirchturmdaches der evangelischen Martinskirche, welche im Zusammenhang mit weiteren Renovierungsarbeiten am Kirchenschiff und der Sakristei, der Treppenaufgänge und des Mauerwerks gegenwärtig durchgeführt werden, wurde die Kugel der Kirchturmspitze geöffnet, ein Dokument des damaligen Stadtschultheiß Kühler aus dem Jahre 1868 entnommen und nunmehr mit verschiedenen neuen Dokumenten wiederum gefüllt und verschlossen und am Mittwoch wieder auf die Turmspitze montiert. Auf diese Weise wurde für die Teilnehmer der Versiegelungsaktion der Kapsel mit den Dokumenten ein Hauch Stadtgeschichte spürbar bei dem Gedanken des vor 118 Jahren geschriebenen, jetzt vorgefundenen und erneut in die Kapsel gegebenen Textes, zusammen mit den Exponaten der heutigen Zeit.

Im Jahre 1868 war bei einem Sturm die Wetterfahne herabgestürzt, mußte repariert und wieder angebracht werden. Christian Kühler, Großbottwars dritter Stadtschultheiß nach den Vögten, der von 1855 bis 1892 amtierte, hatte in einer im Knopf des Turmkreuzes untergebrachten Kapsel in Versform die damals herrschende Situation kurz beschrieben und somit der Nachwelt überliefert, wie es damals in Großbottwar war. So schrieb er unter anderem, daß man sich um die Schaffung eines »Zoll-Parlaments« in Deutschland stritt (Übergangsparlament vom Zollverein des Jahres 1834 der in Deutschland selbständigen von Fürsten regierten Ländern zum Reichstag nach der 18971 erfolgten Reichsgründung durch Fürst Bismarck). Lebensmittel waren teuer, das Jahr 1868 vom Mai an trocken und heiß, so daß es an Futter für das Vieh mangelte. Die Früchte seien geraten, das Korn sei vor Jakobi (25. Juli) in der Scheune gewesen, »auch Kartoffel und Obst hat es auf dem Teller und kommt noch ordentlich Vorrat in den Keller«. Reife Trauben habe es 10 Tage vor Bartholmäus (24. August) gegeben mit Aussicht auf einen guten Herbst und großer Menge. Flaschnermeister Carl Gscheidle hatte aus Kupfer einen neuen Kirchturmknopf gemacht und wieder auf der Turmspitze angebracht.

Mit dem Abschluss der Dachdeckerarbeiten wurde auch die Kirchturmspitze, einst für die Landbevölkerung mit der Wetterfahne eine unverzichtbare Vorrichtung, wieder als Kreuz auf die Dachspitze montiert. Weite Kreise der Bevölkerung bedauern dabei, daß es auf der Kirchturmspitze keine Wetterfahne mehr geben sollte. So wurde - aus historischer Sicht - an der Kirche jetzt »gesündigt«, denn auf den alten Stichen von Merian und Kieser ist die Wetterfahne auf der Martinskirche deutlich sichtbar. Eine Mehrheitsentscheidung des Kirchengemeinderats aber hatte eine Wetterfahne abgelehnt. Pfarrer Schardt hatte die Mehrheit des Kirchengemeinderats davon überzeugen können, daß eine Wetterfahne heutzutage nicht mehr notwendig sei, dass es vielmehr gelte, das Kreuz als Zeichen des Christentums als Kirchturmspitze darstellen zu lassen.

Schlossermeister Erich Stigler hat am Mittwoch mit seinen Gehilfen die eiserne Turmspitze mit der kupfernen Verkleidung wieder auf das Turmdach montiert und dabei eine schwierige Arbeit sicher und sorgfältig bewältigt. Tags zuvor hatten sich Mitglieder des Kirchengemeinderats mit Pfarrer Schardt, Bürgermeister Gerhäusser, Kirchenpflegerin Frau Alice Marchewski, Bauleiter Hans Baur und den Handwerksmeistern Malermeister Dieter Fuchs, Malermeister Helmut Sieber, Schlossermeister Erich Stigler und Flaschnermeister Hermann Stahl bei der Kirche eingefunden, um als Zeugen und Handelnde der Bestückung der neuen Kapsel des Turmknopfes mit zeitgenössischen Druckerzeugnissen und Schreiben beizuwohnen. Dipl.-Ing. Erwin Fink, in seiner Eigenschaft als Bauausschußleiter des Kirchengemeinderats und Verbindungsmann zu den Bauhandwerkern, hatte verschiedene Dokumente ausgewählt, teilweise selbst verfaßt und in die Kapsel gefüllt. So wurde eine Fotokopie des von Stadtschultheiß Kübler 1868 verfaßten Schreibens in die Küpfer-Kapsel gelegt. Auf Pergamentpapier hat Frau Sabine Fuchs einen von Erwin Fink verfaßten Text geschrieben, aus welchem die gegenwärtige Situation der Kirchenerneuerungsarbeiten mit den ausführenden Bauhandwerkern hervorgeht. Dabei wird ersichtlich, welche Personen dem Kirchengemeinderat angehören, wie die Situation der Kirche und ihrer Mitglieder in dem gegenwärtigen Zeitpunkt ist und wie die Zeitsituation überhaupt gegenwärtig sich darstellt.

Beigefügt ist außerdem eine Angebotskopie des Architekturbüros Rast über die Kirchenerneuerung. Bürgermeister Rainer Gerhäusser hat ebenfalls ein Schreiben verfaßt, in welchem auf mehreren Seiten die gegenwärtigen Verhältnisse in Großbottwar in kommunaler Hinsicht geschildert werden: Stadtkernsanierung, Restaurierung des historischen Rathauses aus dem Jahre 1556, die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung als gegenwärtig wichtige Aufgabe, Überschwemmungen, Betreuung von 250 Kindern in fünf Kindergärten waren dabei Themen, die neben weiteren Angaben der Stadt und des Gemeinderats behandelt wurden. An vorhandenen Druckwerken wurde die „Marbacher Zeitung“ (Ausgabe vom 1. Oktober) beigegeben, in welcher eine ausführliche Darstellung der Stadtkernsanierung mit zahlreichen Fotos enthalten ist. Weiter wurden ein Mitteilungsblatt der Stadt vom 1. Oktober, ein Stadtprospekt und die zur Einweihung des historischen Rathauses herausgebrachte Broschüre in die Kapsel gesteckt.

Nachdem Erwin Fink vor den anwesenen Zeugen die Dokumente sorgfältig eingelegt hatte, hat Flaschner Euerle als Mitarbeiter des Flaschnermeisters Hermann Stahl die kupferne Kapsel sorgfältig verschlossen und verlötet. „Hoffen wir, daß die Kapsel samt Inhalt die nächsten hundert Jahre überstehen und die Bürger, die nach uns kommen, wenn es mit der Kirchturmspitze wieder an der Zeit ist, dann erfahren, wie es im Jahre 1987 in Grossbottwar zugegangen ist und ausgesehen hat“, war aus der Mitte der Versammelten am Schluß des kleinen, doch denkwürdigen Akts der Kapselversiegelung zu hören.

Am Samstagmorgen wird die als Schutz den Knopf umgebende Hülle auf dem Kirchturm entfernt werden und das Turmkreuz dann mit seinen vergoldeten Enden sichtbar sein. Knopf, Spitze und Enden des Kreuzes wurden mit reinem Blattgold versehen, das die Malermeister Fuchs und Sieber aufgetragen haben.

Marbacher Zeitung | 9. Oktober 1987

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